Wenn schon, Zen schon!
Mit den Bögen weit aus dem Fenster ragend, bahnt sich das Taxi den Weg durch den dichten Berliner Innenstadtverkehr. „Geht’s zu einer Demo?“, fragt der Taxifahrer, der die langen, mit Textil umwickelten Stöcke zunächst für eingerollte Banner hält. „Nein, zum Bogenschießen.“
Dann mustert er uns und stellt fest, dass wir in Hakama und Gi beziehungsweise Kimono unterwegs sind. Ach so, japanisches Bogenschießen, davon habe er tatsächlich schon mal gehört. „Hat das nicht auch irgendwas mit Zen zu tun?“
Irgendwie ja und irgendwie auch wieder nein, möchte man antworten. Das Odeur, was einem beim Betreten der Pankower Sporthalle entgegenweht lässt diesen Schluss jedenfalls nicht unmittelbar zu – eine Mischung aus Adrenalin und Anspannung. Will man sich davon nicht anstecken lassen, tut eine Prise Zen sicher gut. Ebenso nötig ist eine große Portion Vorstellungskraft, will man in seiner Wahrnehmung die Schönheit und Würde der japanischen Kimonos und traditionellen Umgangsformen in die Umgebung einer neonbeleuchteten Turnhalle retten. Strukturen und Abläufe sind klar definiert, Aufregung liegt in der Luft. Wen wundert es, ausgetragen werden an diesem Wochenende immerhin die deutschen Kyudo Meisterschaften. Dagmar und ich sind mit unserem Lehrer Shigeyasu Kameo da, wir beide nehmen dieses Jahr zum ersten Mal teil.
Am Vortag hatten bereits die Sempai-Schützen – unter ihnen auch unser Lehrer Shige – sowie später dann die Dan-Träger ihre deutschen Meister in spannenden wie beeindruckenden Wettkämpfen ermittelt. Heute sind die Schützen der Kyu-Grade am Start. Für mich der erste Wettkampf dieser Art und Größe, entsprechend aufgeregt bin ich, als die Startnummern ausgelost werden. Immerhin, ich bekomme meine Wunschstartnummer – bin Omae – was mir eine Menge Stress nimmt. Denn die Abläufe des Taihai bringen mich, je nachdem an welcher Position ich stehe, immer noch regelmäßig aus dem Konzept. Für die ersten beiden Pfeile von insgesamt zehn, die wir heute schießen, wird eine Stilwertung vergeben. Ich strenge mich also ganz besonders an, um Taihai und alle Hassetsus vorschriftsmäßig und in der besten Form zu präsentieren, die ich bieten kann. Oder vielleicht sollte ich eher sagen, die beste Form, die ich heute bieten kann. Denn schon beim zweiten Pfeil holt mich die alte Binsenweisheit ein, dass nicht jeder Tag gleich ist, oder, dass vieles ganz einfach von der Tagesform abhängt. Und die ist bei mir heute nicht die beste. Der zweite Pfeil rutscht mir im Kai von der Bogenhand und ich hebele ihn mit dem Kinn ungelenk zurück in Position. Die Stilwertung geht damit schon mal flöten, der Pfeil auch.
In den Pausen zwischen den drei Runden haben wir, meine Vereinsfreundin Dagmar sowie die Mitstreiterinnen aus meinem Tachi, dennoch eine Menge Spaß, versuchen, einander die Aufregung zu nehmen und lachen über so manches Missgeschick. Das tun wir auch, als mir beim Abschuss die Sehne fies vor den Arm flitscht. Meine Hände sind feucht, der Bogen liegt mir heute schlecht in der Hand, ich versuche das Beste draus zu machen.
Beim letzten Pfeil – und dies ist mir in drei Jahren Kyudo noch nie passiert! – fliegt dann der Bogen gleich mit weg und landet vor dem Pult der Kampfrichter, wo ich ihn betreten aufsammele.
Warum mir das ausgerechnet auf der deutschen Meisterschaft passiert, frage ich Heike später auf dem Rückweg zerknirscht, sie hat ein wunderbares kleines Buffet auf dem Zugtischchen in unserer Mitte aufgebaut. Wir machen uns über Käse und Oliven her und sie antwortet augenzwinkernd: „Weil es zu Hause im Dojo niemand gesehen hätte!“ Die deutschen Meisterschaften seien für einen solchen Fauxpas ganz einfach der geeignete Rahmen. Wir lachen herzlich, ihre Antwort hat mich restlos überzeugt. Wenn schon, Zen schon!
Insgesamt ein wunderbares Wochenende mit vielen interessanten wie lehrreichen Eindrücken und noch mehr herzlichen Begegnungen, da bin ich gern wieder dabei!